“Language is always there in front of me.” An Interview with Yoko Tawada

First published in TSLR 5 (Fall/Winter 2019), this interview was conducted by e-mail in German and has been translated by the interviewer.

Brian Haman: Sie leben, sprechen und schreiben außerhalb Ihrer Muttersprache. Träumen Sie in einer anderen Sprache, die weder Japanisch noch Deutsch ist?

Yoko Tawada: Ich träume oft von einer Lesung, bei der ich mein eigenes Buch öffne, um daraus zu lesen, und stelle fest, dass das Buch auf Spanisch geschrieben ist.

Ich kann nicht Spanisch lesen und trotzdem versuche ich irgendwie die Sätze auszusprechen, mit der Hoffnung, dass das Publikum nichts anmerkt.

Manchmal spreche ich im Traum eine selbstgemachte slawische Sprache und seltsamerweise wundert sich niemand darüber. Es ist ein etwas beunruhigend und gleichzeitig höchst befriedigend, eine Sprache zu erfinden. Ich komme mir vor wie eine Jazz-Saxophonistin, die eine Musik improvisiert. Das hießt, es ist nicht so, dass ich zu erst denke und dann spreche. Sonder die Sprache ist immer vor mir da.

Neulich war ich mir sicher, dass jemand mich im Traum auf Chinesisch angesprochen und ich ihn verstanden hatte. An ein Wort konnte ich mich noch erinnern. 中 - und ich habe den Laut “chuu” gehört. Nach dem Aufwachen schaute ich sofort im Wörterbuch nach. Leider handelte es sich um kein chinesisches Wort, sondern bloß eine japanische Lesart eines Ideogramms. Schade.

Komischerweise träume ich nie in Englisch, einer Sprache, die ich im Unterschied zu Spanisch oder Chinesisch wirklich oft im Leben benutze.

Meistens spreche ich auch im Traum Deutsch mit meinen deutschen Freunden und Japanisch mit meinen japanischen Freunden. Nur einmal gab es eine Verwirrung. Ich erzählte meiner Mutter von einem Kochrezept und die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Auf einmal wusste ich, dass ich Deutsch zu ihr sprach.

Sonst träume ich oft wie in einem Stummfilm. Da spricht niemand und dennoch weißt man genau, was jeder sagen will.

BH: In was für einem Körper lebt Ihre poetische Sprache?

Tawada: Der Klang ist ein Ort, an dem die Sprache hörbar wird. Genauso ist das Schriftzeichen ein Ort, an dem die Sprache sichtbar wird. Ohne Klang und Schriftzeichen können wir die Sprache nicht wahrnehmen. Auf Deutsch könnte man diese Orte als Klangkörper oder Schriftkörper bezeichnen. Denn das deutsche Wort “Körper” bedeutet nicht nur den Körper eines Lebewesens. Eine Körperschaft bedeutet auch etwas Abstraktes. “Corporation” heißt auf Deutsch “Körperschaft.” Das japanische Wort “Karada,” das Körper bedeutet, bezieht sich nur auf eine organische Einheit, die vergänglich ist - das heißt, ein “Karada” muss eines Tages sterben. Sprachen müssen nie sterben. Es kann passieren, dass sie von den Menschen vergessen werden, aber sie sterben nicht. Die Sprache ist nicht organisch. Wichtig ist, dass wir sie als organisch empfinden. Außerdem: Die Sprache kann zwar männliche und weibliche Geschlechter auf verschiedenen Ebenen ausdrucken, aber sie selbst ist weder männlich noch weiblich, was für mich eine große Befreiung bedeutet.

BH: Was bedeutet es heute, eine Autorin zu sein?

Tawada: Wir leben in einem kuriosen Zeitalter, in dem der Feminismus als Theorie aus der Mode gekommen ist und gleichzeitig die Gewalt gegen Frauen überall auf der Welt immer sichtbarer wird. Die Literatur ist machtlos gegenüber dieser Situation. Eine Autorin zu sein bedeutet, ohnmächtig zu sein und trotzdem nicht aufhören zu können zu denken. Was den Totalitarismus betrifft, hat die Literatur in der Geschichte viele Erfahrungen gesammelt. Man kann die alte Methode nicht wiederholen, aber zumindest möchte ich mit der Tradition gegen den Totalitarismus immer einen inneren Dialog führen, wenn ich schreibe. Die Umweltprobleme schienen neu zu sein, aber auch da gibt es Beispiele in der altertümlichen und vormodernen Literatur, wie die poetische Sprach mit der Zerstörung der Natur umgeht.

Brian Haman: You live, speak, and write outside of your mother tongue. Do you dream in another language, one that is neither Japanese nor German?

Yoko Tawada: I often dream of a reading in which I open my own book to read from it only to find that the book is written in Spanish.

I can’t read Spanish, but I still try to somehow pronounce the sentences, hoping that the audience won't notice.

Sometimes in my dreams I speak a Slavic language of my own making, and oddly enough, no one is surprised. It is a little unsettling and at the same time extremely satisfying to invent a language. I feel like a jazz saxophonist improvising music. That is, it is not that I think first and then speak. Rather, language is always there in front of me.

Recently, I was sure that someone had spoken to me in Chinese in a dream, and that I had understood them. I could remember one word - 中 - and I heard the sound “chuu.” When I woke up, I immediately looked it up in the dictionary. Unfortunately, it wasn’t a Chinese word, but just a Japanese reading of an ideogram. What a pity.

Strangely enough, I never dream in English, a language that I often use, unlike Spanish or Chinese. Most of the time, I speak German with my German friends and Japanese with my Japanese friends in my dreams. Only once was there some confusion. I was telling my mother about a recipe, and the entire time I had the feeling that something was wrong.

Suddenly, I realized that I was speaking German to her. Otherwise, I often dream as if I’m in a silent film. No one is speaking and yet you know exactly what everyone wants to say.

BH: What kind of a body does your poetic language inhabit?

Tawada: Sound is a place where language becomes audible. Likewise, the written character is a place where language becomes visible. Without sound and written characters, we cannot perceive language. In German, these places could be called “sound bodies” or “written bodies,” because the German word “body” [Körper] doesn’t just mean the body of a living being, but something abstract, such as a “corporation” [Körperschaft]. The Japanese word “Karada,” which means body, only refers to an organic unit that is transient - that is, a “Karada” must die one day. Languages ​​never have to die. People can forget them, but they do not die. Language is not organic. The important thing is that we perceive it as organic. Language can also express male and female genders on different levels, but language itself is neither male nor female, which is a great liberation for me.

BH: What does it mean to be a woman writer today?

Tawada: We live in a curious age in which feminism-as-theory has fallen out of fashion, while, at the same time, violence against women is becoming increasingly visible throughout the world. Literature is powerless in the face of this situation. To be a woman writer means to be powerless, and yet to be unable to stop thinking. As far as totalitarianism is concerned, literature has accumulated a great deal of experience from history. One cannot repeat the old method, but I always try to have an inner dialogue with the anti-totalitarian tradition when I write. And although environmental problems appear to be new, there are examples in ancient and pre-modern literature of how poetic language deals with the destruction of nature.

Previous
Previous

Remembering Maung Hmek aka Shwe Yoe aka James C. Scott (1936-2024)

Next
Next

Taking it Litterally. Daryl Lim Wei Jie’s 𝐴𝑛𝑦𝑡ℎ𝑖𝑛𝑔 𝐵𝑢𝑡 𝐻𝑢𝑚𝑎𝑛 as a Trash Course in Modern Civilization